Goa - Kontrolliertes Aussteigen in entspannter Athmosphäre

Von Christine Schoeffel |08.12.2014

Wer kennt es nicht. Das Gefühl, einmal, nur für kurze Zeit, alles über Bord werfen zu wollen. Alle Pflichten und Verpflichtungen, die Zwänge des Alltags, die Konventionen und Kompromisse. All das einmal hinter sich zu lassen und nur noch das zu sein, was man in seinem tiefsten Innern eigentlich ist oder meint zu sein. Also all das, was man im Alltag nur noch ganz selten ausleben kann. Gott sei Dank gibt es noch Dinge, die man nicht kaufen oder einfach nur buchen kann. Denn dann hätte ich noch einen Traum weniger. Es gibt Orte, die sozusagen als Krückstock dienen können. Die einem das Gefühl des alles hinter sich Lassens für zwei oder drei Urlaubswochen geben können. Und dazu gehört für mich Goa. Goa ist der kleinste indische Bundesstat, gelegen in der Mitte der indischen Westküste am Indischen Ozean und hat eine Fläche von 3702 Quadratkilometern, was also eine Ausdehnung von ca. 60 mal 60 Kilometern entsprechen würde. Bei einer Einwohnerzahl von 1,5 Millionen hält sich hier das Thema Überbevölkerung in Grenzen. Was man mit einem indischen Bundestaat auch nicht unbedingt sofort in Verbindung bringt, ist der relativ hohe Bildungsstand. Die Alphabetisierungsrate beträgt laut der letzten Volkszählung 87,4% und 97% aller schulpflichtigen Kinder werden auch tatsächlich eingeschult. Das sind Werte, die nicht schlechter sind als im mittleren Westen der USA. Knappe 30% der Bevölkerung Goas sind weder Hindus noch Muslime, sondern – man höre und staune – Christen. Das ist darauf zurück zu führen, dass Goa eine portugiesische Kolonie war. 1498 landete der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama an der indischen Westküste. 1510 war die Region unter portugiesischer Hoheit und blieb bis 1961 unter portugiesischem Einfluss bis man den indischen Unabhängigkeitsbestrebungen nicht mehr widerstehen konnte. Zu besichtigen ist dieses alte südeuropäische Erbe heute hauptsächlich in der Kirchenarchitektur. Besonders erwähnenswert sind die Kirchen und Klöster der alten, ehemaligen Hauptstadt Goa Velha, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehören. Familiennamen wie Fernandez, Camilson oder Souza lassen einen eher an die Algarve oder an die Copacabana denken als an den Indischen Ozean. Und schaut man in die Gesichter der Menschen, meint man hin und wieder die „Saudade“, diese portugiesische Melancholie, erblicken zu können. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. So zerbröseln die Klischees über dieses Land, die man als Westler mit sich herum schleppt, wie Sand zwischen den Fingern. Nicht einmal das Klischee, dass in Goa hauptsächlich Aussteiger, Trancemusikanhänger und Chilumraucher herumlungern, stimmt mehr. Auf nichts ist mehr Verlass als auf das eigene Auge. Goa kennt nur zwei Jahreszeiten. Die Monsunzeit, also die Regenzeit, die von Juni bis September dauert und die Trockenzeit ab Oktober bis Mai. Wobei für Traveller wichtig ist, dass es ab April anfängt schwül zu werden. Die Schwüle wird mit der Zeit immer drückender und heftiger. Das Ganze entlädt sich dann mit dem hereinbrechenden Monsun, der so sicher und pünktlich kommt wie das Amen in der Kirche. Kein Klischee ist, dass die Inder gerne Touristen gucken gehen. Wenn man als Europäer in Goa am Strand liegt, dann muss man sich mit seiner Rolle als Anschauungsobjekt für Einheimische bzw. für die Bombayer Wochenendausflügler identifizieren können. Man muss diese Rolle als Europäer regelrecht lieben, meiner Meinung nach. Solange die weiblichen Touristen ihre sekundären Geschlechtsmerkmale nicht offenherzig zur Schau tragen, werden einem die Einheimischen nichts weggucken. Der Inder fotografiert gerne und mag es, selbst fotografiert zu werden. Sein Lieblingsobjekt ist, welch eine Überraschung, der westliche Tourist. Der Tourist als Strandläufer mit I-pod im Ohr und schnittiger Sportsonnenbrille. Der Tourist beim Streicheln einer exotischen Kuh am Strande von Anjouna. Der Tourist als Yogi im knieschonenden Schneidersitz vor untergehender Sonne. Gerne fragt man auch einen Touristen, ob man sich mit ihm ablichten darf. Ruhig auch zehn mal das selbe Motiv und die selbe Einstellung, Hauptsache es wird fotografiert. Wo die Bilder später landen, ist egal. Es geht offensichtlich nur um den Kontakt und um die Berührung selbst und weniger um das Endprodukt. Aber wer bringt es übers Herz, einem fröhlichen, lächelnden und unschuldig naiv dreinblickenden Inder den Wunsch nach einer kleinen Fotozeremonie, Arm in Arm, zu verwehren. Der indische Strandhund. Nur auf den ersten Blick eine Plage. Wenn man sich mit ihm näher beschäftigt, dann stellt der indische Strandhund ein gutes Studienobjekt für soziale Verhaltensmuster dar, die uns gar nicht so unbekannt vorkommen. Revierverteidigung, Futterneid, Eifersucht, Großmannssucht. Die üblichen Dinge eben, die Mensch und Hund so auszeichnen. Wer hat im Alltag Zeit für ein Soziologiestudium nebenher. Mit dem Streicheln sollte man zunächst zurückhaltend sein, bis sich ein eventueller Bewerber in gebührlichem Maße hierfür empfohlen hat. Die Tollwut ist zwar noch nicht hundertprozentig ausgemerzt, spielt aber an den Stränden Goas eigentlich keine Rolle. Ob man sich als Begleitung einen Strandhund aussucht oder ob man selbst als Begleiter vom Hund ausgesucht wird, hängt von der Situation ab. Die Rollenverteilung ist fließend. Die Strandverkäuferinnen. Wie schaffe ich es, einer indischen Strandverkäuferin, eingekleidet in den farbenfrohesten Tüchern, von der Nase bis zu den Fesseln behangen mit Schmuck aus Tausend und Einer Nacht und ausgestattet mit einem Mutter-Teresa-Lächeln, kein Tuch oder keinen Ring abzukaufen? Das ist hohe Kunst. Bei mir und vor allem bei meiner Frau besteht bei dieser Kunstform noch Lernbedarf. Der Strandshack. Indien komprimiert im Miniformat. Uns wird freundlich gewunken. Man rettet sich barfuß über den glühend heißen Sand in den schattigen shack und bestellt sich etwas gegen die trockene Kehle und eine kleine indische Verführung als Mittagssnack. Im Hintergrund Hindimusik. Man sitzt mit Blick auf den offen Indischen Ozean. Die ganze Familie arbeitet hier mit. Hier kommt man mit den Einheimischen am besten ins Gespräch, erfährt auch einiges aus erster Hand über dieses Land. Erfährt zum Beispiel, dass ab morgen drei Tage kein Alkohol ausgeschenkt werden darf, da Bundesstaatswahlen stattfinden. Oder dass die Polizei seit letztem Jahr die ausufernde Partyszenerie gestoppt hat. Und so vergehen hier sieben Stunden am Strand unter der sengenden Sonne des indischen Ozeans und am Ende des Tages weiß man nicht, was man eigentlich gemacht hat außer Fotozeremonien, Hundestudien und Ringe anprobieren. Der würdige Abschluss dieser sinnlos verprassten Stunden ist ein Gin Tonic, und zwar mit „Bomby Gin“, zu Sitarmusik im Liegesitz eines Strandcafes mit Blick auf den hinter dem Horizont des indischen Ozeans verschwindenden orange-roten Sonnenball. Wahlweise auch im besagten knieschonenden Schneidersitz meditierend auf einem Handtuch. Was essen wir heute Abend? Vielleicht einen Biryani, ein typisch südindisches Gericht. Der Biryani ist ein schöner, fetter Reistopf, der in seinem Innern allerlei Überraschungen verbirgt. Nüsse, Brokkoli, Blumenkohl, Hähnchen (für Nichtvegetarier). Gewürzt mit Curry, Ingwer, Knoblauch, Tamarinde und vielem mehr kommt es beim ersten Bissen zu einer geschmacklichen Explosion im Gaumen. Oder wie wäre es mit Hähnchen aus dem Tandoori-Ofen. Die Tandoori-Masala-Gewürzmischung besteht im Wesentlichen aus gemörsertem Chili, Kreuzkümmel, und Koriandersamen. Es wird mit Joghurt vermischt. Hinzu kommen Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Salz und Zitronensaft und für die Farbe im Idealfall eine Prise echter Safran. Darin wird das Hähnchen mariniert und im Tandoori-Ofen über die Holzkohle gehängt. Dazu Ingwerreis und knusprig fettes Knoblauchnan, das indische Fladenbrot. Auch die Liebe zu Indien geht zunächst mal durch den Magen. Was man bei einem Goaurlaub auf keinen Fall versäumen sollte. Der Anjouna Flea Market. Auf diesem unmittelbar am Strand von Anjouna gelegenen Areal von ca. 500 mal 300 Metern wird man von Farben, Gerüchen, Musik, Stoffen, Silber, Halbedel- und Edelsteinen förmlich überrollt. Händler aus nah und fern, auch aus fernen Regionen wie dem Ladakh, überschwemmen die Sinne des Besuchers. Rette sich und den Geldbeutel seiner Frau wer kann. Vielleicht in eines der Flea Market Cafes und sehe bei einem kühlen „Kingfisher“ (einem der besten Biere der Welt) dem Treiben einfach nur zu. Den Abschluss des Flea Market, der jeden Mittwoch stattfindet, bildet am Abend ein Musikfestival in der Strandbar, bei dem zum Teil ziemlich schräge internationale und einheimische Musiker zusammen Klänge aus Elektrogitarre, Sitar, Didgeridou und allem Möglichen zaubern. Jedes Mal ein absolut unvergesslicher Abend. Im mittleren Teil der Küste Goas, gleich südlich vom Flughafen, beginnt ein unglaublicher Strandabschnitt, der jedes Läufer- und Strandwandererherz höher schlagen lässt. Ein kerzengerader 20 Kilometer langer, flacher, einhundert Meter breiter Strand am Stück. Goldgelb, flach, fast ohne Neigungswinkel, asphalthart, wenn sich das Waser zurückzieht. Hier fühlt sich der Jogger im Nirwana und niemand kann ihn aufhalten. Nur den Umkehrpunkt darf man nicht verpassen, denn die Strecke verdoppelt sich. Und Umkehren fällt hier sehr schwer. An diesem Küstenabschnitt liegen von Nord nach Süd die Orte Cansaulim, Arossim, Utorda, Majorda, Colva, Sernabatim, Benaulim, Varca, Camona. Den Abschluss bildet ganz im Süden Betul. Wer mehr auf kleine, feine sichelförmige Paradiesbuchten mit Palmenhainen wie in der Karibik steht, dem sei Palolem weiter im Süden empfohlen. Allerdings kann ich diese Empfehlung nicht mehr ganz reinen Gewissens weiter geben, weil ich die Bucht noch als etwas „unschuldig“ erlebt hatte Anfang der Zweitausender. Nur ein paar Jahre später steppt hier mittlerweile der Bär. Dazu muss man wissen, dass die Goaner früher Fischersleute waren und diese Arte des Broterwerbs mehr und mehr in Vergessenheit gerät, seit der Tourismus blüht. Die meisten Fischerfamilien haben mittlerweile die Fischerboote gegen Strandshacks eingetauscht. Da Indien eine englische Kolonie war, ist es klar, dass auch unsere englischen Freunde in Goa gerne Urlaub machen. Auch der gute alte Working Class Hero verbringt hier seine Zeit, wenn es bei uns kalt ist. Wer sein Cockney-Englisch auffrischen möchte und Inspirationen für ein neues Tatoo sucht und gerne in internationaler Gesellschaft den einen oder anderen Gin Tonic oder Vodka Lemmon in entspannter Atmosphäre trinken möchte, dem sei der Strandabschnitt Baga, Calangute, Candolim empfohlen. Der liegt an einer kerzengeraden 6 Kilometer langen Küstenlinie im Norden Goas Ebenfalls ein durchgehender schöner, goldgelber Strand. Südlich vom oben erwähnten Anjouna. Und wenn man Glück hat, findet gerade das indische Hol-Fest statt, ein Frühlingsfest am Vollmondtag des Hindumonats Phalguna (Februar oder März). Es ist ein Fest der Farben. Man wird, so ist es uns in Calangute ergangen, von den Indern mit allen möglichen Farben in Pulverform beschmissen, dass man aussieht wie ein aus dem Irrenhaus entlaufener. Die Farben sind harmlos und abwaschbar. Was nicht harmlos ist, ist die Tatsache, dass sich die Inder an diesem Holi-Fest betrinken (sie haben ja Vorbilder…) und dann äußerst – positiv ausgedrückt – ausgelassen feiern. Zu dieser Ausgelassenheit gehört auch, dass der indische Mann die Badehose verschmäht und lieber in Unterhosen ins Meer geht. Betrunkene Inder in Unterhosen, mit Whiskeyflasche und Bierdose in der Hand, torkeln einem am Strand lachend entgegen. Das ist dann schon ziemlich lustig. Allerdings werden sie von den allgegenwärtigen Strandwächtern an die Kandarre genommen, wenn sie so ins Meer gehen wollen und aus dem Wasser wieder zurück gepfiffen. Wenn sich einer daneben benimmt, kann es sein, dass die Polizeistreife aus dem vorbei fahrenden Fahrzeug aussteigt und dem Protagonisten mit einem langen Rutenstock, wie ihn bei uns früher die Lehrer benutzten, eins über den Hintern brät. Da die Polizei in Indien einen hohen Respekt genießt, nimmt der Protagonist diesen Rutenhieb auf den Hintern ohne Protest und lächelnd hin und mimt das Unschuldslamm. Als ich das sah, dachte ich mir, jetzt fehlt nur noch, dass er dem Polizisten den Roberto-Blanco-Klassiker „Ein bisschen Spaß muss sein“ auf indisch pfeift. Und dann sind zwei Wochen sogenanntes „kontrolliertes Aussteigens in entspannter Atmosphäre“ zu Ende und wir fragen uns, was war denn das? Wir müssen da nochmal hin, um diese Frage beantworten zu können. Und aus diesem „nochmal“ sind nun mittlerweile sechsmal geworden. Und dass Südindien nicht nur aus Goa besteht, kann ich irgendwann später mal näher beleuchten wenn Interesse besteht…

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